25.04.2025

Taiwan Today

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Pflege alter Traditionen - ­Geburtstagsfeier für den großen Meister

01.01.1990
"Lehren ohne Ansehen des Status" - Konfuzius propagierte die Idee, daß alle Menschen, unabhängig davon, welcher Gesellschaftsschicht sie angehören, das gleiche Recht auf Bildung haben.
Im Jahre 1968 wurde Konfuzius' Geburtstag, dessen Datum zuvor nach dem Mondkalender berechnet worden war, auf Geheiß des damaligen Präsidenten Chiang Kai-shek, auf den 28. September festgelegt. Alljährlich wird am Morgen dieses Tages bei Sonnenaufgang in jedem Konfuziustempel auf Taiwan eine Zeremonie zu seinen Ehren abgehalten: Nach strengem Ritual erweisen Lehrer und hohe Beamte dem großen Meister ihren Respekt.


Diese Zeremonie, Shih dien (釋奠), hat eine lange Geschichte. Sie geht auf die im "Buch der Riten" (禮記) festgehaltene "Zeremonie für Weise und Lehrer" zurück, die ursprünglich zweimal pro Jahr, im Frühling und Herbst, abgehalten wurde.

Konfuzius lebte in der "Frühlings- und Herbst-Periode" (722-481 v.Chr.). Er wurde im Jahr 551 vor Christus im Staate Lu, in der heutigen Provinz Shantung, geboren. Zwar begann er eine Laufbahn als Beamter in seinem Heimatstaat, reiste dann jedoch von einem Staat zum anderen, um den Regenten seine Lehren von der Staatsführung zu unterbreiten. Da er mit diesen keinen Anklang fand, kehrte er schließlich im Alter von 68 Jahren zurück, um sich ganz dem Unterrichten zu widmen. Schätzungsweise 3 000 Schüler haben ihm im Laufe seines Lebens gelauscht. Konfuzius verstarb im Jahr 479 vor Christus.

Als Staatsmann und auch als Lehrer wird Konfuzius verehrt. Er befürwortete, daß Bildung eine Sache, nicht wie bis dahin nur für die priviligierte Schicht des Adels, sondern vielmehr für alle gleichermaßen sei.

Es wird erzählt, daß eines Tages einige Eulen, die bei den Chinesen als wilde Raubvögel gelten, über den Ort flogen, an dem Konfuzius unterrichtete. Als sie seine Worte vernahmen, hielten sie inne und hockten sich hin, um Konfuzius' Lehren zu lauschen und wurden somit Teil seiner Zuhörerschaft. Diese Anekdote soll freilich zeigen, daß die Worte des Meisters so gewaltig waren, daß sie selbst die wilden Tiere in ihren Bann schlugen, aber auch, daß er dazu bereit war, zu jedem zu sprechen und jeden ohne Ansehen seiner Person zu unterrichten - gerade dies wird heute als sein großes Verdienst auf dem Gebiet des Lehrens angesehen. In Anspielung auf diese Geschichte, finden sich auf dem Dach der meisten Konfuziustempel als Verzierung einige steinerne Eulen - so auch auf dem in Taipei, und in der großen Halle des Taipeier Tempels ließ Chiang Kai-shek über Konfuzius' Gedenktafel die Inschrift You chiao wu lei (有教無類), sinngemäß: "Lehren ohne Ansehen des Status" anbringen.

So ist der 28. September in der Republik China auch der "Tag der Lehrer", an dem den Lehrern für ihren entscheidenden Beitrag zu der Förderung junger Menschen gedankt wird - sowohl kollektiv durch warme Worte des Präsidenten als auch persönlich durch kleine Geschenke und schriftliche Danksagungen, die Schüler ihren Lehrern überreichen. In jedem Schreibwarenladen finden sich im September jeden Jahres neben Glückwunschkarten für Geburtstage, Eheschließungen usw. auch viele Karten mit zuweilen recht blumigen Danksagungen an Lehrkräfte. Das Ansehen der Lehrer wird in der Republik China hochgehalten - auch wenn die Gehälter, besonders an den Universitäten, das nicht vermuten lassen würden.

Die 20 Instrumente, die für die Zeremonie verwendet werden, sind in die acht Kategorien Metall-, Stein-, Keramik-, Leder-, Holz-, Saiten-, Bambus- und Kürbisinstrumente eingeteilt - hier ein Musikant mit einer Bambusflöte.

Die Verehrung des Konfuzius hat eine lange Tradition: Im Jahr 478 v.Chr. ließ der Herzog Ai, des Staates Lu, in Ch'üfu (曲阜), der Heimatstadt Konfuzius, den ersten Konfuziustempel errichten. Die ersten Tieropfer wurden in eben diesem Tempel von Kaiser Kao Tsu im zwölften Jahr der Han-Dynastie (206 v.Chr.-221 n.Chr.) gebracht. Im Verlauf der Ch'ing-Dynastie (1644-1911) wurde in jeder Stadt des chinesischen Reiches ein Konfuziustempel errichtet und die Einzelheiten für die Zeremonie zur Verehrung des Meisters festgelegt. Die Zeremonie zur Verehrung des Kaisers diente hierbei als Vorbild - ein Zeichen für die ganz besondere Hochschätzung.

Konfuzius selbst legte großen Wert auf die Einhaltung der Riten, die Übel seiner Zeit führte er gar darauf zurück, daß die Herrscher die alten Riten (Li 禮) inkorrekt oder gar nicht ausführten. Diese Riten sind zentrales Thema der konfuzianischen Weltanschauung. Sie sind Kernstück einer Gesellschaftsordnung, die auf Wohlwollen und Menschlichkeit (Jen 仁) beim Umgang miteinander, aber auch auf Gehorsam und Respekt für Autorität (Hsiao 孝) fußt: Der Herrscher soll gütig über seine Untertanen, so wie der Vater über seinen Sohn, der ältere über den jüngeren Bruder, bestimmen. Die Untergebenen (wie auch die Söhne und jüngeren Brüder) sind zu kindlichem Gehorsam verpflichtet. Eine Lehre also, die Herrschenden wegen der Legitimation einer Hierarchie sehr angenehm war und ist - und über viele Jahrhunderte bis zum heutigen Tag die chinesische Gesellschaft geprägt hat. Riten haben nicht nur die Funktion, die soziale Ordnung zu symbolisieren, ihre Einhaltung sind vielmehr das Mittel, die Menschen zu Tugendhaftigkeit zu führen. Endziel ist eine friedliche, harmonische Gesellschaft. Inhaltliche Grundlagen der Lehren des Konfuzius sind den ihm zugeschriebenen Aussprüchen, die von seinen Schülern zusammengestellt wurden, Lunyü (論語), sowie den anderen fünf der "Sechs Klassiker" zu entnehmen.

Posthum wurden Konfuzius große Ehren zuteil - nicht zuletzt wegen der Verbreitung seiner Gedanken durch seine Schüler. Unter der Herrschaft des Kaisers Wu der Han-Dynastie wurden seine Lehren gleichsam zur "Staatsreligion". Durch die Jahrhunderte und im Verlauf der Dynastien wurde Konfuzius nach und nach mit immer mehr Ehrentiteln bedacht, bis er schließlich in der Ch'ing-Dynastie den Titel "Alles umfassender überragend weiser erster Meister" Da ch'eng chih sheng hsien shih, (大成至聖先師) erhielt, der nun auch auf den in den Konfuziustempeln aufbewahrten Tafeln geschrieben steht.

Das Ritual zu Ehren des Konfuzius, wie es heutzutage im Konfuziustempel in Taipei abgehalten wird, besteht aus 37 Schritten. Inzwischen dauert die gesamte Zeremonie nur noch eine Stunde, nachdem sie 1975 aus Rücksicht auf das Publikum um einige Wiederholungen und somit um etwa 20 Minuten gekürzt wurde.

Etwa 1 000 Gäste werden jährlich zu der Feier geladen. Einladungen gehen sowohl an ältere Mitbürger, an Vertreter des diplomatischen Corps als auch an ausländische Gäste. Zu der Generalprobe am Vortrag sind Vertreter der Presse und ausländische Studenten zugelassen, denen vor Beginn der Zeremonie (auf chinesisch und englisch) eine grobe Übersicht über den Ablauf sowie die wesentlichen Verhaltensregeln für die Zuschauer gegeben wird: an welchen Stellen im Ritual man sich verbeugen, daß man nicht sprechen und bitte nicht lachen solle.

Tanz und Musik, rituelle Lobesreden und Tieropfer sind die Bestandteile der Zeremonie.

Lamm-, Schweine- und Rindfleisch, Früchte, Blumen und andere Opfergaben, eine jede in einem speziellen Gefäß.

Sie beginnt bei Sonnenaufgang - eine Tradition aus der Ming-Zeit (1368-1644). Um sechs Uhr werden Fackeln angezündet, die in rosa Gewänder gekleideten Musikanten (Yüeh-sheng 樂生) und die in gelbe Gewänder gekleideten kleinen Tänzer (Wu-sheng 舞生) mit ihren langen Pfauenfedern und roten Bambusflöten nehmen ihre Plätze ein.

Dann wird der Zeremonienmeister, im Alltag Leiter des Amtes für Zivilangelegenheiten (1989 erstmals eine Frau), an den Platz geführt, von dem aus der gesamte Ablauf überwacht werden kann. Danach werden die begleitenden Opferbeamten, Direktoren der Oberschulen und Berufsschulen des Stadtbezirks, in den Innenhof geführt und stehen fortan in zwei Reihen der Opferhalle zugewandt. Sodann nehmen die Opferbeamten, Leiter der Regierungsämter und Sprecher des Stadtrates, zu den monotonen Klängen einer Trommel ihre Ausgangspositionen ein. Zunächst waschen sie sich die Hände. Geführt werden sie hierbei von jeweils zwei in lilane Gewänder gekleidete Ritualassistenten (禮生), die laut und langgezogen die Namen der Beamten rufen, den sie führen. Zuletzt wird der oberste Opferbeamte, der Bürgermeister, auf seinen Platz geleitet.

Die Beamten tragen lange blaue Gewänder mit schwarzer Jacke und roter Rosette am Aufschlag. Diese Aufmachung ist jedoch nicht Bestandteil jahrhundertelanger Tradition, sondern es handelt sich hierbei um die Nationalkleidung der Republik China. Während die Einzelheiten des Rituals wie es in der Regierungszeit der Manchus, der Ch'ing-Dynastie, abgehalten wurde, genau aufgezeichnet und überliefert sind, hält man sich in Taiwan heute aus chinesischem Nationalbewußtsein heraus, und ebenfalls auf Anweisung Chiang Kai-sheks, an das schlechter dokumentierte Ritual aus der chinesischen Ming-Dynastie.

In der Tat sind selbst Spezialisten, wie etwa der für die Organisation der Tempelfeierlichkeiten in Taipei zuständige Angestellte oder auch Sinologieprofessoren an hiesigen Universitäten nicht mit allen Einzelheiten des Rituals vertraut. Dem Laien gar sind weite Teile der Zeremonie völlig unverständlich und die Ankündigung der einzelnen Ritualschritte, deren Bezeichnungen sowohl ausgerufen als auch in roter Schrift auf gelbem Papier präsentiert werden, wird von den Zuschauern immer von leise geflüsterten "Was heißt das?" begleitet.

Sind alle Teilnehmer auf ihren Plätzen, werden das Haupttor, das Tor der Riten (禮門), und das Leihsing Tor (櫺星門) des Tempels geöffnet.

Auf die Öffnung der Tore folgt der Yi mao xue (瘞毛血), "Vergraben von Haaren und Blut", genannte Ritualabschnitt: Zunächst werden Blut (Hsüeh 血) und Haare (Mao 毛) der Opfertiere, Kuh, Lamm und Schwein, verbrannt, um so den Geistern mitzuteilen, daß das Opfer vollbracht ist. Hernach werden die Aschereste aus dem Innenhof des Tempels hinaus getragen und dort vergraben, was unter anderem symbolisieren soll, daß Tugend und Moral - und das Ahnenopfer ist schließlich auch Manifestation derselben - versteckt, im Inneren verborgen sind. Für die Zuschauer von heute ist dieser Teil des Rituals besonders exotisch und auf seine Ankündigung folgt ein leises Raunen.

Als nächstes wird der Geist des weisen Meisters willkommen geheißen: Zu den Klängen der Instrumente und dem Singen der Hsien-ho Melodie (咸和之曲) verlassen Ritualassistenten, die ein Beil, einen Baldachin, einen Fächer und eine Axt tragen, das Haupttor, um den Geist hereinzubegleiten. Bei ihrer Rückkehr verbeugen sich auf Befehl des Ansagers alle Anwesenden dreimal zur Begrüßung.

Nun beginnt der Mittel- und gleichzeitig Hauptteil der Zeremonie: die eigentlichen Opfer für Konfuzius und in gesonderten Ritualschritten auch die für seine wichtigsten Schüler. Neben der Ahnentafel des Konfuzius sind die Tafeln von Yen Hui (顏回), Tseng Sheng (曾參), Tsu Ssu (子思) und Menzius (孟子), sowie für die "Zwölf Weisen Männer" angebracht.

Zunächst werden die Behälter für die Opfergaben auf dem Altar hin und hergeschoben, und somit ihr Inhalt den Geistern angeboten. Für jede Gabe gibt es ein spezielles Gefäß mit besonderem Namen: Tsu (俎) für Schweinefleisch, Tso-pan (胙盤) für Seide usw.

Von den Beamten werden Räucherstäbchen verbrannt, was in der Folge mehrmals und von verschiedenen Personen wiederholt wird, zuletzt von einem direkten Nachkommen des Konfuzius - inzwischen in der 77. Generation. Im 24. Schritt des Rituals ist die Reihe am Staatspräsidenten, der sich allerdings vom Innenminister vertreten läßt, so daß dieser der ranghöchste an der Zeremonie teilnehmende Beamte ist.

Das Verbrennen von Räucherstäbchen bei der Ahnenverehrung dient dazu den Geistern anzukündigen, daß ihnen geopfert worden ist. Die Entfernung der geopferten Speisen ist einer der letzten Schritte der Zeremonie. Geister können nicht essen und trinken - aber riechen können sie und haben sich so an den Gerüchen der ihnen dargebotenen Köstlichkeiten gelabt.

Begleitet wird die Opferzeremonie, die zweimal wiederholt wird, von Musik und Tanz. Beim ersten Opfer wird die Ning-ho (寧和之曲), beim zweiten die An-ho (安和之曲) und beim dritten die Ching-ho (景和之曲) Melodie gespielt. Die überlieferten langsamen, ruhig monotonen Tonfolgen werden auf insgesamt etwa zwanzig traditionellen Instrumenten gespielt: Trommeln, Glocken, Flöten und Saiteninstrumenten. Jede Melodie beginnt mit dem leisen Klopfen eines Holzhammers auf eine quadratische Schüssel Chu (柷) und endet damit, daß einem Bronzetiger mit einem Pinsel über den Rücken gestreift wird. Von den heute verwendeten Instrumenten sind einige wirklich antik, andere sind alten Vorbildern modellgetreu nachgebildet.

Sechs mal sechs Reihen von Tänzern...

Die Tänzer stellen sich im Quadrat auf. Die Formation nennt sich Pa-yi (八佾), wobei pa "acht" und yi "Reihe"(der Tänzer) bedeutet. Aufgrund von Platzmangel tanzen im Konfuziustempel in Taipei nur sechs statt acht Jungen pro Reihe. Was soll man tun? Wird Tradition auch noch so hoch gehalten, so wird das Ritual doch ohne Zögern geändert, wenn die praktischen Gegebenheiten dies erforderlich machen.

In ihrer linken Hand halten die Tänzer drei zusammengebundene Fasanenschwanzfedern (Ti 翟), in ihrer rechten rote Bambusflöten (Yüeh 籥). Die Bewegungen werden von allen gleichzeitig mit größtmöglicher Präzision ausgeführt: Langsam und feierlich verbeugen und drehen sich die Tänzer, knien nieder, sie heben, senken, schwenken majestätisch Flöte und Federn, halten sie hoch über ihre Köpfe oder über Kreuz vor ihre Gesichter. Jede Bewegung endet damit, daß die Position gehalten wird. Der Tanz ist also eine Abfolge von ruhig fließenden Bewegungen, aber auch von Bildern.

Die Anspannung und Anstrengung steht den Tänzern ins Gesicht geschrieben. Früher gab es in jedem Konfuziustempel festangestellte Tänzer, heute werden die etwa zwölfjährigen Jungen jedes Jahr von neuem von einer Schule ausgewählt und über die Sommerferien gedrillt.

Für jeden Schritt des Opferrituals werden die Beamten in die Halle zum Altar und auch wieder auf ihre Positionen im Hof zurück geleitet. Die sie eskortierenden Ritualassistenten waren 1989 von der auf die Ausbildung von Lehrern spezialisierte "Taiwan Normal University" ausgewählte Studenten - auch diesmal keine Studentinnen. Bis zum Jahr 1975 hatten noch nie Frauen an den Feierlichkeiten teilgenommen. Inzwischen, da auch Frauen leitende Positionen an Schulen und in Regierungsämtern einnehmen, mußten aber auch hier ein paar Zugeständnisse gemacht werden.

Nach einer Stunde geht die Zeremonie zu Ende. Flugzeuge nehmen ihren Verkehr zu und vom nahegelegen nationalen Flughafen auf und fliegen mit ohrenbetäubendem Lärm tief über die geschwungenen Dächer des Tempels.

Die Opfergaben werden entfernt, die Texte der Lobesreden verbrannt, der Geist des alten Meisters verabschiedet und die Tore werden für ein weiteres Jahr geschlossen. Die Teilnehmer an der Zeremonie verlassen den Hof in der Reihenfolge, in der sie zu Anfang gekommen waren. Das Ende der Zeremonie wird verkündet. Die Zuschauer gehen nach Hause.

Innerhalb der Tempelmauern kehrt wieder Ruhe ein - es beginnt ein weiterer hektischer Tag auf den lauten Straßen Taipeis.

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